Dienstag, 5. März 2013

Am Sonntag, den dritten März 2013, wurde das Paul Spiegel Filmfestival - Jüdische Welten feierlich in der Black Box, dem Kino im Filmmuseum Düsseldorf eröffnet. Die zahlreichen Gäste sahen den Dokumentarfilm OMA & BELLA der Filmemacherin Alexa Karolinski. Sie porträtiert darin ihre Großmutter und deren Freundin Bella Katz, die gemeinsam in einer Art Alten-WG wohnen und einer gemeinsamen Leidenschaft nachgehen, dem Kochen. "Diese Frauen kennenzulernen, von ihren Lebenswegen zu hören, liegt sicher quer zu manchen festgefahrenen Erwartungen an jüdisches Leben", erklärte der Kurator des Festivals heute in der Rheinischen Post.
Die Gäste des Filmfestivals sahen das wohl ähnlich. Lachen und Schmunzeln, aufmerksame Stille und teilnehmendes Zuhören wechselten sich in den rund siebzig Minuten der Vorführung ab. Zuvor war das Festival von Tobias Ebbrecht, der Düsseldorfer Bürgermeisterin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf Dr. Oded Horowitz und dem Leiter des Filmmuseums Bernd Desinger eröffnet worden. Im Anschluss an die Filmvorführung begeisterte dann Epstein's Klezmer Tov Trio das Publikum. Der Geiger Prof. Igor Epstein und seine Band brachten auf feinsinnige und unterhaltsame Weise den Festivalgästen die Klezmer-Musik nahe. Mit Witz und musikalischem Können enfachten sie auf der Bühne des Filmmuseums ein melodisches Feuerwerk, mit dem das bis Donnerstag andauernde Festival musikalisch eröffnet wurde.

Im Anschluss dokumentieren wir die Eröffnungsrede des Kurators Dr. Tobias Ebbrecht:




Herzlich Willkommen zum 8. Paul Spiegel Filmfestival - Jüdische Welten in Düsseldorf!


Elf Filme aus sechs verschiedenen Ländern erwarten uns in den nächsten fünf Tagen. Das Black Box Kino und in diesem Jahr erstmals auch der Leo Baeck Saal der Jüdischen Gemeinde werden in diesem Zeitraum zu einer Traummaschine. Wir werden verschiedenen Menschen an unterschiedlichen Orten und ihren Geschichten von Freude und Leid, Freundschaft und Liebe, Enttäuschung und Hoffnung begegnen, realen wie erfundenen, kurzen und langen. Im Zentrum steht dabei die Vielfalt jüdischen Lebens.

Im Vorfeld wurde ich oft gefragt, was denn eigentlich einen jüdischen Film ausmache. Ich habe darauf immer geantwortet, dass die Filme auf dem Paul Spiegel Filmfestival menschliche und berührende Geschichten erzählen sollen, die jüdisches Leben berühren und zwar gerade weil sie allgemeingültige Themen und Werte ansprechen wie Freundschaft und Familie, grenzüberschreitende Begegnungen und generationsübergreifenden Austausch.

In den letzten Wochen wurde in den Synagogen weltweit im Buch Exodus aus der Thora gelesen. Die Geschichte von Moshe und den Kindern Israels, die ihr Dasein als Sklaven abwerfen und aus dem von einem totalitären Herrscher regierten Ägypten ausziehen, in der Hoffnung, das gelobte Land zu finden, wurde zu einer universell gültigen Hoffnungsgeschichte für die gesamte Menschheit. Sie leitete und begleitete nicht nur die Juden durch finstere Zeiten, in denen sie immer wieder Hass und Verfolgung ausgesetzt waren. Sie motivierte auch die Schwarzen Amerikas, für ihre Gleichbehandlung zu kämpfen und wir finden Spuren davon auch in der Sehnsucht jener Menschen in den arabischen Ländern, die mit politischer wie religiöser Indoktrinierung und Unterdrückung gleichermaßen brechen wollen.

Auch das Kino hat diese Geschichte immer wieder aufgenommen und variiert. Im Prinzip finden wir sie in jeder Heldenreise wieder. Darum ist "Der Herr der Ringe" genauso wenig denkbar ohne die Geschichten in der Thora wie "Django - Unchained" oder in unserem Festivalprogramm der berührende israelische Jugendspielfilm IGOR UND DIE REISE DER KRANICHE.

In einer der Paraschot der vergangenen Wochen, der Parascha Jitro lesen wir von jenen Aufgaben, die weltweit unter dem Begriff "Die zehn Gebote" bekannt geworden sind. Fast gleich am Anfang lesen wir da: "Du sollst dir kein Bild machen, kein Abbild deß, was im Himmel droben und was auf Erden hierunten und was im Wasser unter der Erde." Dieses Bilderverbot wurde später auch immer wieder auf die Künste übertragen. Auch auf den Film, der ja in besonderer Weise von Bildern abhängig ist und mit Bildern erzählt. Aber verwirft die Thora an dieser Stelle wirklich das Abbild als solches? Der Kontext macht deutlich, dass es um Abbilder Gottes geht, nicht um Bilder an sich. Und er betont, dass es um Abbilder geht, vor denen man sich "niederwerfen" kann.

Solche Bilder, vor denen man sich niederwirft, vor denen man klein und schwach wird, die man als absolut und endgültig ansieht, sind tatsächlich ein Problem. Sie behaupten alles zu sein und sind doch nur ein schwacher Abglanz von der Vielfalt, der Größe und der Vieldeutigkeit der Schöpfung, des Lebens und der Welt. Die Beiträge des diesjährigen Paul Spiegel Filmfestivals wollen keine solchen Ikonen sein. Sie können und wollen uns keine endgültigen Antworten liefern, sondern Fragen aufwerfen, Neugier entfachen und zum Gespräch anregen. Auf ihre je eigenen Weise regen sie darum unsere Phantasie an - zum Beispiel wenn wir den beiden alten Damen in OMA & BELLA beim Kochen zuschauen und ihren Erinnerungen lauschen, oder wenn der Film CALL ME A JEW Erinnerungsberichte, Interviews und inszenierte Szenen miteinander verwebt, oder wenn in IGOR UND DIE REISE DER KRANICHE eine völlig "blöde" Idee, wie der Direktor der Schule es ausdrückt, real und die Zeichentrickträume von Igor Wirklichkeit werden. Die Filme hinterfragen unsere Erwartungen und Sehgewohnheiten, so wie KEIN FRIEDE DEN FREVLERN, der auf die bekannten Schreckensbilder verzichtet und trotzdem die Erfahrungen der Konzentrationslager visualisiert - als Bilder hinter den Worten.

Der Abschnitt Beschalach, direkt vor der Parascha Jitro, in dem das Meer geteilt wird und die Kinder Israels dem Pharao entkommen, erwähnt ganz am Ende eine weitere existentielle Prüfung, den Kampf gegen den Kriegerfürst Amalek. Die Episode bekommt große Bedeutung, weil an ihrem Ende ein Gebot steht, das sowohl für das Purim-Fest, das gerade vor einer Woche gefeiert worden ist, als auch für das in einigen Wochen stattfindende Pessach-Fest von Bedeutung ist, mit dem an den Auszug aus Ägypten erinnert wird. In der Parascha lesen wir: "Und der Ewige sprach zu Moscheh: Schreibe das zum Andenken in das Buch, und lege in die Ohren Jehoschua's, daß ich auslöschen will das Gedächtnis Amalek's unter dem Himmel."

Hier lesen wir das erste Mal von einem Erinnerungsgebot. "Schreibe das zum Andenken in das Buch", bewahre die Erinnerung an die Vergangenheit für die Zukunft. Und: gebe sie an die nächste Generation weiter, an Jehoschua, Mosches Nachfolger.

Viele Filme des diesjährigen Festivals behandeln das Gespräch und den Austausch zwischen den Generationen. Alexa Karolinski porträtiert ihre Großmutter, Igor weiß nicht recht, was er seinem sprunghaften Vater bedeutet, die Filme KEIN FRIEDE DEN FREVLERN und WITNESS OF TRUTH versuchen die Erinnerung an den Holocaust zu bewahren und weiterzugeben. CALL ME A JEW zeigt, wie diese Erinnerungen auch noch spätere Generationen berühren. In KADDISCH FÜR EINEN FREUND schließlich entsteht eine ungewöhnliche und generationsübergreifende Freundschaft.

Aber wie auch in der Estherrolle, die zu Purim die Geschichte von einem Politiker erzählt, Haman, der die Juden vernichten will und davon nur durch das beherzte Einschreiten von Königin Esther und ihrem Ziehvater Mordechai abgehalten werden kann, gibt es in der Amalekgeschichte eine irritierende Wendung. Es heißt, der Ewige wolle das "Gedächtnis Amaleks unter dem Himmel" auslöschen, ihn also - wie auch Haman - dem Vergessen überantworten. Doch gleichzeitig wird gefordert, die Geschichte aufzuschreiben und weiterzugeben.

Dieses Paradox ist vielleicht das Faszinierende an dieser Form von Erinnerung, denn das Bewusstsein von der Vergangenheit gehört auch dann dazu, wenn man sich für die Zukunft davon lösen und eine andere Welt und eine andere Gesellschaft möglich machen möchte. Darum liegen Traum und Erinnerung so nah beieinander und begegnen sich nicht zuletzt im Kino, das eine Zeit- und eine Traummaschine zugleich sein kann, das uns die Vergangenheit anschaulich machen kann und die Träume zu Bildern werden lässt. Unsere beiden Filmklassiker im Programm zeigen dies sehr deutlich. Ernst Lubitschs TO BE OR NOT TO BE, während der massenhaften Ermordung der europäischen Juden in den USA gedreht, zeigt die Macht der Phantasie, der Täuschung und des Schauspiels gegen verbrecherische Tyrannei. Und Aleksandr Askoldows DIE KOMMISSARIN ist ein eindrucksvolles Dokument dafür, was passiert, wenn die Utopie die Schrecken der Vergangenheit vergisst. In seinem Film beleuchtete Askoldow auf für die sechziger Jahre immer noch ungewöhnliche Weise, die Schattenseiten der kommunistischen Revolution in Russland und er schmuggelte - getarnt als visionärer Zukunftstraum - die Erinnerung an den Holocaust in seine Geschichte, als dieser in der Sowjetunion noch völlig aus dem offiziellen Gedächtnis verbannt war.
Heute sind diese Filme selbst Boten aus der Vergangenheit und verdeutlichen die Vielfalt unseres Programms. Dank der großzügigen Unterstützung der Jüdischen Gemeinde und ihres Vorstandes, sowie der unermüdlichen Arbeit ihrer MitarbeiterInnen, allen voran Inessa Lipskaja und Jörg Lorenz, konnten wir auch in diesem Jahr für ein buntes und vielseitiges Programm sorgen. Die Bilder auf der Leinwand verbinden sich dabei auch dieses Jahr wieder mit Klängen auf der Bühne. Ich freue mich sehr, dass heute Prof. Igor Epstein und sein Klezmer Tov Trio für uns spielen und uns mit der facettenreichen Klezmer Musik bekannt machen, die Menschen über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg generationsübergreifend begeistert. Am Mittwochabend wird dann im Leo Baek Saal der Jüdischen Gemeinde am Paul-Spiegel-Platz das Düsseldorfer Symphoniker Quartett aufspielen und wir werden den bewegenden Dokumentarfilm COMING HOME über das Israelische Symphonieorchester sehen können.

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